Drama am „Shisha-Pangma“

shishapangma

Der Shishapangma

Der Wunsch jeden Bergsteigers ist, einmal im Leben auf einem Achttausender zu stehen. So meldete ich mich im Dezember 1994 beim DAV-Summit-Club vom Deutschen Alpenverein für eine Expedition auf den Shisha Pangma 8046 m im Himalaja an. Nur einfach anmelden, so ging das nicht. Ich musste nachweisen, dass ich im Gebirge schon schwierige Bergtouren geklettert bin. Das war für mich kein Problem, denn mit meinen schwierigen Besteigungen wie z.B. der Matterhorn-Nordwand und einigen extremen Eiswänden hatte ich ja schon Erfahrung sammeln können.

Nach der offiziellen Zusage seitens des Summit-Club musste ich nun meine Ausrüstung für extreme Verhältnisse im Himalaja anpassen. Das Sportgeschäft „Borgmann Sport“ in Krefeld gewährte mir 20% Rabatt als Alpenvereinsmitglied auf meine aufwendige Ausrüstung, was mir natürlich angenehm war. Obwohl ich für das Hochgebirge in den Alpen gut gerüstet war, musste die Bekleidung, wie Unterwäsche, Daunenjacke und Daunenschlafsack und dergleichen für Achttausender-Regionen angepasst werden. Der Preis für die sechswöchige Expedition einschließlich Flugreise, und die teure Ausrüstung lag bei 15.000,- DM.

Im Februar trainierte ich am Kreuzberg in der Rhön. Fast täglich wanderte ich viermal von Sandberg hoch zum Kloster Kreuzberg und zurück übers Neustädter Haus. Die Aufstiege schaffte ich in ständig verbesserten Zeiten. Viele normale Wanderer blieben stehen und glaubten wohl, da sei ein „Bekloppter“ unterwegs.

Mit meinem Schulfreund Alois Warmuth aus Maßbach/Ufr. war ich im März im Bayrischen Wald für drei Wochen in Urlaub. Täglich fuhren wir mit unseren Langlaufbrettern einen Rundkurs von 62 km. Konditionell fühlte ich mich gut, was mir jetzt noch fehlte, war die Höhenanpassung.

Für den 4. Mai 1995 war der Abflug nach Nepal geplant. Drei Wochen vor dem Abflug fuhr ich mit meinem Auto in die Schweiz, ins „Sass Tal“ im Kanton „Wallis“ nach Sass Fee. Zwei Wochen lang wollte ich mich ebenfalls für mein Vorhaben auf der Britannia-Hütte auf 3030 m mit Skitouren auf Viertausendern vorbereiten und fit machen. Das Allalinhorn, 4027 m und das Strahlhorn mit 4190 m, hatte ich mit meinen Tourenski bestiegen, aber plötzlich kam ein Wetterumbruch und die Wettervorhersage war für mehrere Tage als sehr schlecht angesagt. Daraufhin machten sich also alle Skitourengeher am nächsten Morgen auf den Weg zur ca. 2 km entfernten Seilbahn. Ein Tourengeher besaß ein GPS-Gerät und ging damit voraus, denn man konnte bei diesem starken Schneesturm keine zehn Meter weit sehen.

Ich blieb alleine auf der Hütte zurück, denn ich wollte ja zwei Wochen trainieren. Ebenfalls waren zwei weibliche Hüttenangestellte auf der Hütte zurück geblieben. Neun Tage musste ich nun in der Hütte ausharren, weil der Schneesturm draußen ununterbrochen tobte. Mit Brennholz spalten, Zimmer säubern und eine Menge Wolldecken neu falten machte ich mich nützlich.
In der Nacht riss der Wind die verschlossenen Fensterläden los, so dass sie mit voller Wucht gegen die Hauswand krachten. Gemeinsam mit den Hüttenmädels versuchten wir, die Fensterläden mit einer Schnur zu bändigen.

In Sassgrund entdeckte man auf dem großen Parkplatz mein allein stehendes Auto. Die Bürger von Sassgrund alarmierten die Bergwacht, die dann bei mir zu Hause anfragte, wo ich mich aufhalten könnte. Eine Suchmeldung wurde gestartet. Nach ein paar Tagen hat man mich dann bei telefonischen Hüttenanfragen auf der Britannia-Hütte gefunden.

Dann endlich kam nach neun Tagen wieder die Sonne raus. Leider musste ich noch einen Tag in der Hütte ausharren, denn die Bergwacht musste erst Lawinen absprengen. Diese Zeit nutzten wir vor der Britannia-Hütte und bauten, wie man schön auf dem Foto erkennen kann, einen Schneemann.

„Ich bin drei Schritte gegangen – dann lag ich über dem Eispickel und schnappte nach Luft“

Es passte alles gut zusammen, denn drei Tage vor unserem Abflug war ich bei der Einweihung meines überlebensgroßen Jesus am Kreuz in Münnerstadt/Ufr. dabei, was natürlich für mich auch wichtig war.
Am 4. Mai nahm ich von meiner Familie Abschied vor unserem Haus. Mein schwerer Rucksack war gepackt und die übrige Ausrüstung in einem Seesack untergebracht. Mit dem Zug ging es von Düsseldorf zum Flughafen nach München. Mit einer Maschine der Nepalesischen Fluggesellschaft starteten wir mit 15 Expeditionsteilnehmern und einem Expeditionsleiter. In Dubai wurde eine Zwischenlandung eingelegt zum Tanken. Eine Stunde lang bestaunten wir in der Flughafenhalle den edlen Goldschmuck in allen Variationen.

restaurant-in-kathmandu

Restaurant in Kathmandu

tempel-in-kathmandu

Tempel in Kathmandu

Nach der Landung in Kathmandu wurden wir im Hotel alle mit einem Blumenkranz empfangen, jeder bekam einen roten Punkt auf die Stirn. Nach drei Tagen, ausgefüllt mit Besichtigungen von Klöstern und einer Teppichweberei in der viele Kinder beschäftigt waren, ging die Fahrt mit einem Bus weiter Richtung Tibet.

Der 8046 m hohe Shisha Pangma ist einer von dreizehn Achttausendern und liegt in Tibet am Rande der Grenze zu Nepal. Am Grenzübergang zu Tibet, eigentlich China, liegt der Ort Kodari. Hier mussten einige Fragen in einem Formular ausgefüllt werden. Immer wieder bekamen wir die Formulare zurück, wir hätten nicht alles beantwortet. Bis wir merkten, die Zöllner können gar kein deutsch. Nun haben wir alle denselben Text geschrieben: „Wir Deutsche dumm können nicht schreiben“ und endlich durften wir die Grenze passieren.

Unsere Ausrüstung mussten wir hier auf einen Lkw umladen. Nach einer Stunde Fahrt einen steilen Hang hoch kamen wir in Zangmu, einem verwahrlosten, dreckigen Dorf an. In einem so genannten Hotel wurden wir einquartiert, wo alles verkommen und verdreckt war. Eine Badewanne war vorhanden, aber total unbenutzbar.

Am nächsten Tag waren wir den ganzen Tag unterwegs, bis wir nach der Überquerung eines 5000 m hoch gelegenen Passes mit vielen Gebetsfahnen endlich Nyalam erreicht hatten.

tibeterin-mit-kinder

Tibeterin mit Kinder

Hier waren wir in einem tibetischen Bauernhof mit sauberen Betten und essbarer Mahlzeit untergebracht. Also ganz anders als in Zangmu bei den Chinesen. Wir haben gesehen, wie das tibetische Volk von den Chinesen unterdrückt wird und haben uns deshalb alle vorgenommen, in Deutschland bei keinem Chinesen essen zu gehen.

Bei unserem dreitägigen Aufenthalt in Nyalam haben wir zur Akklimation zwei namenlose Fünftausender bestiegen. Beim ersten Berg wollte unser Stuttgarter Bergkamerad Heinz unbedingt als erster oben sein. Am nächsten Tag, am zweiten Berg, forderte mein Zeltkollege mich auf, den Burschen heute zu schlagen und prompt distanzierte ich Heinz bei einem internen Wettkampf.

Hier erfuhren wir, dass vier Bergkameraden aus der ehemaligen DDR am Shisha Pangma vermisst würden. Eine Besteigung im Himalaja ist extrem gefährlich. Aber um die Expeditionen, die dem Land viele Devisen bringen, nicht abzuschrecken, dringen Unfälle gar nicht an die Öffentlichkeit. Eine Tagesreise waren wir nun noch unterwegs mit dem Lkw über wildes wegloses Gelände bis wir endlich am „Original-Chinesen-Camp“ auf 5000 m angekommen waren.

Am nächsten Tag trugen sechsundvierzig Yaks die Ausrüstung der Expedition zum achtundzwanzig Kilometer entfernten vorgeschobenen Basislager auf 5300 m. Die Bergsteiger trugen ihre bis zu zwanzig Kilogramm schweren Rucksäcke mit ihrer persönlichen Ausrüstung selbst. Die Sonneneinstrahlung ist dort oben extrem, die Ausrüstung war in kürzester Zeit total ausgebleicht. Man musste sich immer mit Sonnenbrille und einer starken Sonnencreme schützen.

original-chinesisches-basiscamp

Original Chinesisches Basiscamp

Bis Lager 1 trugen zwanzig Yaks unsere Ausrüstung, danach waren wir selbst gefordert, für vier Wochen Lebensmittel und Material für sechzehn Expeditions-Teilnehmer und zwei Köche zu den einzelnen Lagern zu schleppen. In kleinen Gruppen stiegen wir abwechselnd mit schweren Rucksäcken zum nächst höheren Lager auf, verbrachten in den neu aufgestellten Zelten eine Nacht und kehrten wieder zurück ins Basislager. Nach zwei Tagen Erholung erneuter Aufbruch, um über Lager 2 das Lager 3 aufzubauen auf 6300 m Höhe. In diesem Rhythmus weiter; bis das höchste Lager 4 auf 7400 m eingerichtet war, vergingen rund zwei Wochen. Das hat alles schon schwer geschlaucht, war aber notwendig, um sich zu akklimatisieren für den Gipfelangriff. Wir gingen alle seilfrei, denn bei einem Absturz wäre der Seilgefährte bei großer Höhe nicht in der Lage, seinen Partner zu halten.

Nach drei Tagen Ruhe brach ich mit meinem Zeltkameraden auf, den Gipfel zu erreichen. Es war uns allen klar, kräftemäßig und vom Zeitablauf ist nur ein Versuch möglich. Über die Lager 1, 2 und 3, wo wir je eine Nacht verweilten, erreichten wir das Lager 4 auf 7400 m. Der Kopf ist leer, man geht drei Schritte und hängt dann über seinem Eispickel fünf oder vielleicht auch dreißig Minuten lang, man nimmt es nicht mehr wahr. Ich hatte eine ganz schlechte Nacht gehabt. Bedingt durch den Umstand, dass ich als einziger keine Gesichtsmaske dabei hatte, hatte ich mich erkältet. Mein Hals war zu, ich verbrachte die Nacht im Sitzen und hatte akute Sauerstoffprobleme.

„Ich steige am Morgen sofort runter“, war mein einziger Gedanke. Aber ein Gedanke zwängte sich in der Nacht immer wieder dazwischen: >Ziehe deine Steigeisen an und springe den Berg runter, aber ganz schnell, dann hast du wieder Sauerstoff<…, dass jedoch wäre mein Tod gewesen. Doch als der Morgen graute, stieg ich nach oben statt nach unten. Ich hatte doch ein Ziel, ich wollte auf einem Achttausender stehen.

Das Gehirn wird schlecht mit Sauerstoff versorgt, ich habe nichts mehr wahrgenommen, hatte nur noch einen Gedanken, „du musst auf den Gipfel“. Irgendwann, ich war auf ca. 7750 Meter wusste ich, ich muss zurück, denn jeder Schritt weiter wäre mein Tod gewesen. Ich stieg also in Etappen wieder zurück bis auf Lager 1. Noch Wochen danach konnte ich es nicht verwinden, dass ich nur 250 Meter unter dem Gipfel war und dann aufgeben musste.

Zwischenzeitlich waren auch meine anderen Bergkameraden in den einzelnen Lagern unterwegs, um den Gipfel zu bezwingen. Plötzlich drang die Botschaft über Funk zu den einzelnen Lagern, Heinz ist oberhalb Lager 4 abgestürzt. Er liegt auf etwa 7000 m. Sein Begleiter hat den Absturz mit angesehen, doch statt zu helfen, stieg er weiter auf den Gipfel. Beim Abstieg kam er bei seinem abgestürzten Gefährten vorbei und sah, dass er schwer verletzt war. Er leistete keine erste Hilfe, sondern stieg weiter ab und erzählte seinen im Aufstieg begriffenen Kameraden, dass Heinz nicht mehr zu helfen wäre, er würde sterben. Diese verweigerte Hilfeleistung eines Mannes, von Beruf „Bergführer“, hatte in München ein polizeiliches Nachspiel.

Nun hatten wir alle nur ein Ziel, Heinz aus 7000 m herunter zu holen. Auch ich machte mich auf den Weg, mit meinen letzten Kräften zu helfen. Vier Tage brauchten wir, um den Verletzten aus dieser großen und menschenfeindlichen Höhe von Lager zu Lager abzuseilen, bis wir am Basislager angekommen waren. Bei -32° hatte Heinz eine Nacht lang auf 7000 m ohne Biwakausrüstung und ohne Handschuhe, die er beim Absturz verloren hatte, gelegen. Heinz hatte einen Beckenbruch und alle Finger und auch sein Gesicht waren erfroren. Alle Akteure waren nach der Rettung total ausgebrannt und keiner schaffte mehr den Gipfelanstieg.

Der absolute sportliche Erfolg blieb uns zwar verwehrt, dafür konnten wir mit vereinten Kräften ein Leben retten. Unsere Bergrettung aus 7000 m Höhe war nachweislich die erste Rettung aus einer so großen Höhe, sie war bis dahin einmalig in der Geschichte der 8000er Besteigungen.

Diese Strapazen im Himalaja haben ganz klar auch am Körper gezehrt. In Düsseldorf vom Hauptbahnhof wurde ich von meinem Schwiegersohn Jürgen und meinem Enkel Marcel abgeholt. Als wir uns am Bahnhof begegneten, liefen beide an mir vorbei. Ich musste mich umdrehen und rufen, denn sie haben mich nicht erkannt, so abgekämpft und abgemagert sah ich wohl aus.

Später stand in der Zeitung zu lesen, dass man die Hände von Heinz mit den erfrorenen Fingerknochen im Bauch einige Zeit eingenäht hatte, so dass wieder Fleisch an den Fingern nach wachsen kann.
Diese Operation wurde 1995 zum ersten Mal vorgenommen. Einige Jahre später sprach ich Heinz am Telefon und er sagte mir, dass er wieder Berge besteige.